Die Zeitung - Ein Nachruf by Michael Fleischhacker

Die Zeitung - Ein Nachruf by Michael Fleischhacker

Autor:Michael Fleischhacker
Die sprache: deu
Format: epub, mobi, azw3
Herausgeber: Christian Brandstaetter Verlag
veröffentlicht: 2014-01-31T05:00:00+00:00


Die Revolution und ihre Kinder

Ganz eindeutig hatten Zeitschriften, Zeitungen und einzelne Journalisten in ihrem Vorfeld keine auch nur annähernd so bedeutende Rolle gespielt, wie das bei der „american revolution“ der Fall gewesen war. Auch auf die Ratifizierung der Verfassung hatten die als Federalist Papers bekannt gewordenen 85 Zeitungsartikel, die ein Autorenkollektiv unter Führung von Alexander Hamilton unter dem Pseudonym „Publius“ in New Yorker Blättern veröffentlichte, entscheidenden Einfluss gehabt. In Frankreich hingegen wurde von den Zeitungen bis 1784 kaum Kritik am Ancien Régime geäußert, dafür ließen die rigide Lizenzierungspolitik und die – Ende der 1750er Jahre und 1776 noch einmal verschärfte – Zensur nicht genügend Spielraum.

So beschränkte sich in Frankreich die Rolle der „offiziellen“ Zeitungen darauf, durch Berichte aus Amerika – die Franzosen hatten sich im Unabhängigkeitskampf mit den Kolonien gegen die Engländer verbündet – alternative Staats- und Gesellschaftsformen aufzuzeigen. Eine Schlüsselrolle spielten stattdessen die Untergrundmedien: Pamphlete, Einblattdrucke und Skandalchroniken über die sexuellen Eskapaden der Herrschenden dienten zur Mobilisierung der Massen, sie waren gewissermaßen die gedruckte Fortsetzung einer auf Gerücht und Tratsch ausgerichteten, einer mündlichen Öffentlichkeit. Auf ihre Weise trugen sie ebenso zur Säkularisierung des Monarchischen bei wie die Schriften der Aufklärer.

Die Erklärung der Bürger- und Menschenrechte am 26. August 1789, in der auch die Pressefreiheit als Menschenrecht festgehalten wird, führte zu einer in der Weltgeschichte bis dahin nie dagewesenen Explosion von Presseprodukten. Während der ersten drei Revolutionsjahre entstanden jedes Jahr mehr als 300 Zeitungen und Zeitschriften, bis zum Ende des Revolutionsjahrzehntes 1799 wurden neben 2.000 Zeitungen und Zeitschriften an die 40.000 Flugschriften veröffentlicht. Allein Louis-Marie Prudhomme, der 1789 Les Revolutions de Paris herausgab, soll schon im Vorfeld der Revolution 1.500 Pamphlete verfasst haben. Seitenanzahl und Auflagenhöhen schnellten in die Höhe (die Gazette universelle druckte täglich 11.000, das Journal de Soir 10.000 Exemplare), statt der bisher dominierenden Außenpolitik standen nun natürlich die heimischen Ereignisse im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Zwischen Nachrichten und Meinungen wurde nicht mehr wirklich getrennt.

Das deutete an, dass sich mit den Ereignissen von 1789 auch das Selbstverständnis der Journalisten geändert hatte: Sie waren nun nicht mehr Chronisten der Ereignisse, sondern politische Erzieher und Volksführer geworden. Die radikaleren Journalisten sahen sich als Richter oder als investigative Kämpfer gegen die Konterrevolutionen, Selbstbilder, die auch 200 Jahre später im postrevolutionären, spätindustriellen, postdemokratischen 21. Jahrhundert noch durchaus im Umlauf sind. Wie in den Vereinigten Staaten war nun in Frankreich der Journalismus zum politischen Karrieresprungbrett geworden. Das berühmteste Beispiel für einen Journalisten, der zur Schlüsselfigur der Revolution geworden war, ist wohl Jean-Paul Marat mit seinem Blatt L’Ami du peuple.



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